Geschlossene Opernhäuser, abgesagte Konzerte und Veranstaltungen, verschobene Produktionen – das Kulturleben steht momentan still. Was bedeutet das für die Kulturschaffenden? Die Akademie Musiktheater heute (AMH) der Deutsche Bank Stiftung hat bei der freischaffenden Regisseurin Eva-Maria Höckmayr, dem Intendanten des Landestheaters Coburg Bernhard F. Loges und dem freischaffenden Komponisten Alessandro Baticci nachgefragt.
Im zweiten Interview der Reihe schildert AMH-Stipendiat Alessandro Baticci, wie sich die Corona-Pandemie auf seine Arbeit auswirkt und wie er damit umgeht.
Alessandro Baticci, Sie arbeiten als freischaffender Komponist. Welche Auswirkungen haben die derzeitigen Absagen von Konzerten und Veranstaltungen aktuell für Sie und wie gehen Sie damit um?
Die primäre Auswirkung ist natürlich der Verlust von Haupteinnahmequellen für die nächsten Monate. Besonders große Festivals sind von dieser Situation betroffen, weil sie mit Publikumsverlust rechnen oder nicht stattfinden können, das wirkt sich dann wiederum auf uns freischaffende Künstlerinnen und Künstler aus. Es ist eine schwierige Zeit. Mir ist aber natürlich bewusst, dass ein Eindämmen der Corona-Pandemie nur mit Einhaltung dieser Maßnahmen möglich ist, und gleichzeitig auch, dass diejenigen, die derzeit täglich mit den Folgen dieser Pandemie konfrontiert werden, wie das medizinische Personal, in einer viel schwierigen Lage sind. Man muss sich also gedulden. Ich nutze die Zeit, um endlich an künstlerischen Projekten zu arbeiten, die ich schon lange geplant hatte.
Was bedeutet die aktuelle Situation für Sie existentiell?
Ich glaube, dass man die aktuelle Situation ein wenig relativieren sollte. Natürlich ist es schlimm, wenn lange geplante Veranstaltungen und Konzerte abgesagt werden. Aber es zeichnet sich mittlerweile ein grober Zeitrahmen für die maximale Dauer dieses Zustands ab (wie zum Beispiel eine mögliche Entwicklung eines Impfstoffs, erfolgreiche Testungen von Medikamente usw.). Daher kann man hoffen, dass es bald zu Ende sein wird. Diese Gewissheit gibt es zum Beispiel in kriegerischen Konflikten größtenteils nicht. Ich versuche mich nicht von pessimistischen Meldungen oder Meinungen mittragen zu lassen, sondern stattdessen diese ungewollt „freie“ Zeit so gut es geht zu nutzen.
Sie leben in Österreich. Welche öffentlichen/staatlichen Hilfsangebote gibt es dort?
Die Wirtschaftskammer Österreich hat für Selbständige und EinPersonen-Unternehmen (EPU) ein großzügiges Hilfspaket eingeführt. Damit kann schnell und unbürokratisch eine Soforthilfe beantragt werden. Der Härtefallfond ist aktuell mit einer Milliarde aus Bundesmitteln ausgestattet.
Weiterhin gibt es speziell für Künstlerinnen und Künstler Unterstützung durch die Künstlersozialversicherung, die für ausgefallene Konzerte bei Bedarf Teile der Honorare übernimmt. Zudem stellt die Verwertungsgesellschaft „austro mechana“, die Künstlerinnen und Künstler bei der Wahrnehmung ihrer mechanisch-musikalischen Urheberrechte vertritt, zusätzliche Mittel für Urheberinnen, Urheber, Interpretinnen und Interpreten zur Verfügung.
Sind diese ausreichend?
Im Vergleich zu dem, was andere Länder in Europa für Künstlerinnen und Künstler zur Verfügung stellen, ja.
Welche Absicherungen gibt es generell in Österreich für freischaffende Künstlerinnen und Künstler. Welche Anpassungen und Veränderungen wären zukünftig sinnvoll, um sie generell bei plötzlichen und unverschuldeten/außerordentlichen Krisenfällen zu schützen und abzusichern?
Wenn man sich dafür entscheidet, als Musikerin oder Musiker beruflich tätig zu sein, ist man sich doch eigentlich schon am Anfang seiner Laufbahn bewusst, dass man ein gewisses ökonomisches Risiko dafür in Kauf nimmt, einen der schönsten und erfülltesten Jobs auszuüben, den es gibt. Künstlerinnen und Künstler sind ohnehin tagtäglich mit ihrer prekären Arbeitssituation konfrontiert, insbesondere, wenn sie freischaffend tätig sind. Das Angebot, das es in Österreich für Künstlerinnen und Künstler gibt, ist nicht groß, aber es bietet eigentlich alle Möglichkeiten, um die ersten Karriereschritte zu machen. Ob diese in der Zukunft noch erweitert werden sollten, ist eine zu komplexe Frage, um sie angesichts der aktuellen Situation objektiv beurteilen zu können.
Ich finde gut, dass Selbstständige eine direkte Unterstützung durch die Bundesregierung erhalten, und es nicht den Umweg gibt, dass kulturelle Einrichtungen vom Staat Hilfsmittel erhalten, um dadurch Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen. Man muss aber auch sagen, dass es diese Situation aus der Perspektive eines Kleinunternehmens, das seine laufende Kosten wie Gehälter und Lohnsteuern bezahlen muss, dem aber der Absatz seiner Produktion wegbricht und der dann eventuell noch einen Kredit für geleistete Investition im Nacken hat, viel schlimmer ist. Außerdem genießen Künstlerinnen und Künstler im Vergleich zu anderen
Selbstständigen bereits eine Sonderunterstützung durch die Integration der Sozialversicherungsbeiträge durch die Künstlersozialversicherung.
Wie blicken Sie in die Zukunft und was wünschen Sie sich?
Diese Zeit kann uns helfen, um über das Leben, was wir „vor dem Virus“ geführt haben, nachzudenken und einen neuen Blickwinkel auf die Zukunft zu bekommen. Diese Pandemie wird einen nachhaltigen Effekt auf unser Leben haben. Und das sollte man einfach akzeptieren. Ich erwarte auch, dass es in Österreich und auch anderen Ländern vorerst noch Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit geben wird; vermutlich wird auch ein Hinterfragen globaler wirtschaftlicher Verflechtungen und der weltweiten Mobilität einsetzen
Alessandro Baticci ist freischaffender Komponist, Flötist und Performer. Seine Arbeit bewegt sich im Bereich der zeitgenössischen und experimentellen Musik sowie der Sound Art. Konzerttätigkeiten führten ihn zu den weltweit wichtigsten Festivals und in die renommiertesten Konzertsäle, wie u. a. Salzburger Festspiele, Luzern Festival, Darmstädter Ferienkursen, WienModern, Warschauer Herbst, Transart Bozen, Klangspuren, Wiener Festwochen. Daneben forscht er im Bereich der “augmentierten” Musikinstrumente. Alessandro Baticci ist Mitglied und Mitbegründer des experimentellen Contemporary-Pop-Duo Nimikry sowie dem Black Page Orchestra. Er studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, der Universität für angewandte Kunst in Wien und der Kunstuniversität in Graz. Seit 2018 ist Stipendiat der Akademie Musiktheater heute der Deutsche Bank Stiftung.
Über die Akademie Musiktheater heute
Das stiftungseigene Projekt Akademie Musiktheater heute (AMH) ist das Förderprogramm für den Musiktheaternachwuchs und bildet mit weit über 280 Alumni sowie Stipendiatinnen und Stipendiaten ein einzigartiges Netzwerk für junge internationale Akteurinnen und Akteure des Musiktheaters. Jährlich vergibt die Deutsche Bank Stiftung 15 Stipendien an junge Musiktheaterschaffende aus den Bereichen Bühnen- und Kostümbild, Dirigieren, Dramaturgie, Komposition, Kulturmanagement, Libretto und Regie. Die AMH hat sich seit ihrer Gründung 2001 zu einer der wichtigsten Institutionen für den Musiktheaternachwuchs entwickelt.